SwissDRG: Frischer Wind weht bei der SGAIM
Die DRG-Kommission trifft sich quartalsmässig, um sich über Probleme bei der Abbildung von stationärem medizinischen Patientengut auszutauschen und übergeordnete Optimierungsmöglichkeiten anzugehen. In der überarbeiteten Strategie befinden sich neu langfristige und kurzfristige Optimierungsansätze, auf die weiter unten eingegangen werden. Ein breites Netzwerk soll möglichst viele Informationen zusammentragen und gemeinsam angegangen werden. Ein regelmässiger Austausch erfolgt mit der ICKS (Schweizerische Gesellschaft internistischer Chef- und KaderärztInnen) und der neuen AG AIM-DRG-Optimierung (siehe unten).
Multimorbidität abzubilden ist eine Herausforderung
Im DRG-System kann die Multimorbidität mit der Gewichtung von Nebendiagnosen abgebildet werden. Einzelne statistisch signifikante Nebendiagnosen weisen je nach medizinischer oder operativer Partition einen CCL-Wert (Komplikations- und Komorbiditätslevel-Wert) von 0 bis 3/4 auf. Je nach Anzahl CCL-Werten wird pro Fall ein PCCL (patientenbezogener Gesamtschweregrad) definiert. Im Jahr 2022 gab es eine Ausweitung von 5 auf 7 Stufen (PCCL 0 – 6). Die SGAIM setzte sich in Vergangenheit bereits intensiv dafür ein, das multimorbide Patientengut im Vergütungssystem besser darzustellen und freute sich initial auf die Ausweitung der PCCLs, die die SGAIM mit angestossen hatte. Leider zeigen sich aus unserer Sicht die angestrebten Verbesserungen (wie bessere Differenzierung hochkomplexer Fälle und die Berücksichtigung von vermehrt kodierten Nebendiagnosen) bisher nicht. Gegenteilige Effekte wurden mit dem Wechsel hingegen sichtbar.
Bis 2021 fielen 10.3 % Fälle in die höchste PCCL 4, d.h. 89.7 % der Fälle wurden mit PCCL 0-3 abgebildet. Mit dem Wechsel 2022 zeigten sich PCCL 0 – 3 ganze 96.2 % der Fälle. Das heisst, die Differenzierung von PCCL 4 auf 4-6 reduzierte sich um zwei Drittel der Fälle mit einem Anteil von 3.8 %. Dieser Effekt wurde bis zur Version 2025/V14 nur minimal abgeschwächt und zeigt einen Anteil von PCCL 4-6 mit 4.3 %. Die einzige wesentliche Veränderung ergab sich mit einem grösseren Anteil von PCCL 1 von 1.5 % auf 11.2 % - wobei bisher PCCL 1 kaum Splitfaktor bei den DRGs ist. Bisherige Splitfaktoren, meist > PCCL 3, zeigten durch die PCCL-Umstellung eine Abwertung im SwissDRG-System. Die zusätzlichen PCCLs 5 und 6 spielen für das allgemeininternistische Krankengut nahezu keine Rolle.
Antragsverfahren für die langfristige Optimierung
Die SGAIM arbeitet seit letztem Jahr mit einem neuen Datenauswertungstool, welches ermöglicht, grosse Datensätze auf mögliche Unterdeckungen zu prüfen. 44 Spitäler unterstützen aktuell mit einer Datenlieferung, was für das Jahr 2023 rund 720‘000 Datensätzen entspricht. Ausgewertet werden diese mit effektiven plausibilisierten Kostendaten. Ausgewertet werden auch unterdeckte DRG-Konstellationen, Abbildungen von Hauptdiagnosen, bestimmten Prozeduren, PCCL-Konstellationen und anderen Split-Kriterien. Dabei können Datensätze mit den veröffentlichten Versionen des nächsten Jahres simuliert werden. Die durchschnittliche effektive Kostendeckung des Datensatzes 2023 mit der Version 2025/V14 beträgt nach unseren Berechnungen 83.8 % (Abb 2). Dabei fällt auf, dass DRGs der medizinischen Partition, welche rund die Hälfte aller Fälle ausmachen, eine Kostendeckung von nur 79.9 % aufweisen. Bei den rund 350‘000 Fällen entspricht dies bei durchschnittlichen Fallkosten von knapp 9‘000 Franken und einem Erlös von 7‘190 Franken totalem Verlust von 636 Mio Franken. So ist sichtbar, dass es Handlungsbedarf gibt, das System noch differenzierter zu gestalten, um die medizinischen Kliniken weniger systembedingt defizitär abzubilden.
In der Abbildung ist auch sichtbar, dass die Kostendeckungszahlen der SwissDRG AG (normalerweise 98-99 %) stark von unseren effektiven Zahlen abweichen. SwissDRG AG arbeitet entsprechend ihres Auftrages mit einer theoretisch errechneten Baserate für Nullgewinne. Diese hypothetische Baserate inklusive Anlagenutzungskosten (ANK) für V14.0 beträgt 11‘045 Franken. Diese Baserate erreichen aktuell nur ca. 3 % aller Spitäler (ca. 6 der 187 Spitäler).
Die Auswertungen der SGAIM konzentrierte sich auf Konstellationen mit einer effektiven Kostendeckung unter 80 %. Ziel war es, möglichst viele Ansätze für die Optimierung der Darstellung von medizinischem Patientengut zu finden, um daraus Anträge für SwissDRG für das Antragsverfahren 2024 zu entwickeln. So wurde der Fokus auf generell unterdeckte DRGs oder auf stark inhomogene DRGs gelegt. Zudem wurden Nebendiagnosen gefunden, die generell in unterdeckten Fälle auftauchen, die so prädestiniert für die Aufnahme oder Aufwertung in der CCL-Matrix waren, wie Beispielsweise Dekubitus, motorische und kognitive Funktionseinschränkungen, Anämie, Sepsis, Enzephalitis, Mangel von Spurenelementen, Herpeserkrankungen, Chondropathien, Delir oder Liegetrauma. Es wurden auch Prozeduren, wie beispielsweise die Isolierung, genauer angeschaut und Anträge gegen die Unterdeckung erarbeitet. Zudem verfolgte die SGAIM innovative Ansätze, um gegen stark heterogene Konstellationen vorzugehen, beispielsweise den Gender-Split bei gewissen DRGs und Erkrankungen, bei denen sich geschlechterspezifische starke Unterschiede in der Kostendeckung, respektive der medizinischen Aufwände zeigte. Diese Unterschiede, respektive Erklärungen, werden derzeit mit der Gendermedizin aufgearbeitet, um mögliche Behandlungsunterschiede besser herauszuarbeiten, um so auch Qualitätsoptimierungen unterstützen zu können, beispielsweise bei Endokarditis-Behandlung, Inkontinenzbehandlungen, GI-Blutungen oder psychische Erkrankungen. So wurden für das Antragsverfahren 2024 insgesamt 54 Anträge eingegeben. Zu den Systemoptimierungen von SwissDRG wurde ein Antrag zum Kodierhandbuch und ein Antrag zum CHOP verfasst (CHOP für Sitzwache / 1:1-Betreuung).
Neue Arbeitsgruppe AIM-DRG-Optimierung unterstützt
Im Sinne der Neustrukturierung wurde Anfang 2024 eine Arbeitsgruppe von Medizincontrollern, Finanzcontrollern und medizinischen Kodierern aus interessierten Spitälern (aktuell 15 vertreten, aus allen BfS-Spitalkategorien) gebildet, um eine Plattform für eine Sammlung von Problemherden und für den Austausch zu AIM-Themen zu fördern. Ein digitales Treffen wurde im Q1 lanciert, um Schwerpunkte und mögliche Themen für das Antragsverfahren aufzunehmen. Ein Treffen Ende Q2 diente dazu, über die bereits erarbeiteten Anträge zu reflektieren und Punkte kritisch zu hinterfragen und zu prüfen. Die Arbeitsgruppe wurde zudem bei der Finalisierung der Anträge hinzugezogen und bildet eine starke Expertenstütze, um eine sachgemässere Fallabbildung im Sinne der Fachgesellschaft, aber auch im Interesse der Spitäler verfolgen zu können.
DRG-Blog für kurzfristigere Optimierungen
Da beim Antragsverfahren Optimierungen meist erst 2 bis 3 Jahre nach Antragseingabe umgesetzt werden können, werden zudem Möglichkeiten für aktuelle Optimierungen im Klinikalltag angeboten. Seit Anfang Jahr kommuniziert die DRG-Kommission in monatlichen Abständen mit dem SGAIM-Newsletter DRG-Blog-Einträge. Jeder Blog beinhaltet ein Thema, welches für die stationäre Abrechnung relevant ist. Übergeordnetes Ziel ist es, das Verständnis für die stationäre Abrechnung zu fördern und die Dokumentationsqualität von medizinischen Fällen zu verbessern, so dass medizinische Probleme und Aufwände möglichst präzise abgebildet werden können. Folgende Themen wurden bisher veröffentlicht:
01 - Grundwissen SwissDRG
02 - DRG-Checkliste
03 - Haupt- und Nebendiagnose
04 - Verdachtsdiagnosen vs Differenzialdiagnosen
05 - Delir im SwissDRG-System
06 - Sepsis im SwissDRG-System
07 - WZW – Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit
08 - Verweildauer und Wartepatienten
Problemfall Wartepatienten
Wartepatienten sind Patienten im Akutspital, die an sich keine Akutbehandlung mehr benötigen, jedoch eine stationäre Pflegebedürftigkeit aufweisen und auf einen Nachfolgeplatz im Pflegeheim oder in der stationären Rehabilitation warten. Die Koordination dieser Patienten erfordert erhöhte Ressourcen seitens des Spitals. Zudem benötigt dieses Patientengut die Ressourcen eines Akutspitals, welche auf die Akutbehandlung ausgerichtet ist und teurer ist als die Behandlung in einer Nachfolgestruktur. Leider hat sich in den letzten Jahren der Mangel an Nachfolge-Betten aggraviert. Die Kantone sind gesetzlich verpflichtet, anhand der Gesundheitsplanung genügend Nachfolgestrukturen zu gewährleisten. Wenn die Kantone ihrer Pflicht nicht nachkommen, geht dies aber zulasten der Spitäler. Die erhöhten Ressourcen werden nicht über SwissDRG, sondern über den Pflegetarif abgerechnet. Somit erhält das Spital meist nur knapp 10 % der Aufwände zurück, welche sie geleistet haben.
Die SwissDRG-Kommission hat sich dem Thema angenommen und einen Antrag an die AG Falldefinition von SwissDRG gestellt, damit die Wartepatienten nicht mehr defizitär zulasten der Spitäler ohne SwissDRG abgerechnet werden.