SGAIM Teaching Award 2021: «Einfach gesagt: Ohne Teaching, kein Nachwuchs!»

Die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin vergab in diesem Jahr den «SGAIM Teaching Award» an Dr. med. Christine Roten, MME, und Dr. med. Martin Perrig, MME. Neben praxisorientierten und evidenzbasierten Teachings von Studierenden, Assistenz- sowie Oberärztinnen und -ärzten, haben Dr. Roten und Dr. Perrig das Berner Curriculum für AIM entwickelt, leiten den Journal Club, den systematischen Curriculum und die Skills Trainings der Klinik. Daneben machten Roten und Perrig als Herausgeberin und Herausgeber des praxisorientierten Leitfadens "Die oberärztliche Tätigkeit - eine neue Herausforderung" von sich reden.

Herzliche Gratulation zum diesjährigen SGAIM Teaching Award. Was bedeutet euch dieser Preis?
Wir freuen uns sehr über diese Auszeichnung. Der Teaching Award ist für uns ein Zeichen, dass das Engagement für die Klinische Lehre ernst genommen wird: Das ist eine grosse Anerkennung. Oftmals hören wir, dass Zeit und Ressourcen für das klinische Teaching kaum mehr vorhanden sind, umso wichtiger und wertvoller ist das Signal, das dieser Preis aussendet. Es bestätigt unseren Einsatz, die jungen Ärztinnen und Ärzte mit breiten Kompetenzen auszustatten. Unsere Absicht ist es, die hochstehende ärztliche Betreuung und Versorgung von Patientinnen und Patienten mit immer komplexeren Krankheitsbildern auch in der Zukunft sicherzustellen. Dafür braucht es versierte und motivierte Teacher in der Klinik und die Anerkennung ihrer Arbeit für einen breit ausgebildeten Nachwuchs. Einfach gesagt: Ohne Teaching, kein Nachwuchs!

 

Was zeichnet eine gute Lehrperson/«Teacher» aus?
Bei einem guten Teacher spürt man Freude, Wissen und Fertigkeiten, das an weniger Erfahrene weitergegeben wird. Damit motiviert ein exzellenter Teacher das Team und gestaltet ein positives Lernklima. Man kann sich mit der Lehrperson über verschiedenste Themen austauschen – sei es über rein Fachliches, schwierige Patientensituationen oder auch über persönliche Unsicherheiten. Eine gute Lehrperson hat offene Ohren und echtes Interesse an der Meinung der einzelnen Teammitglieder. Gute Teacher sind sich zudem der eigenen Vorbildfunktion bewusst. Es ist deshalb wichtig, dass gute Teacher demonstrieren, wie man sich Wissen und Fertigkeiten aneignet und verbindet die Theorie mit der konkreten Situation. Die eigenen Wissenslücken werden genutzt, um zu zeigen, wie man sie schliessen kann. Es gelingt guten Teachers, im klinischem Alltag Teaching Momente zu schaffen, zum Beispiel auf der Visite, bei Patientenvorstellungen, im Rahmen des Journal Clubs, beim Röntgenrapport, beim Punktieren, undundund.


Durch die aktuelle SARS-CoV-2-Pandemie steht die Aus-, Weiter- und Fortbildung vor vielen Herausforderungen. Wie können Hausärztinnen und Spitalinternisten diesen begegnen?
Das ist wirklich nicht einfach. Die aktuelle Situation stellt uns vor die Herausforderung, gewohnte Formate der Weiter- und Fortbildung zu verlassen. Innovationen sind gefragt. Etablierte Formate können aber mit etwas Kreativität angepasst werden: Anstelle der Fallvorstellung oder des Journal Clubs im Plenum, kann eine Oberärztin oder ein Oberarzt diese unter Anleitung («Teach the Teacher») direkt in den eigenen Teams durchführen, was sehr motivierend ist für die OberärztInnen und die AssistenzärztInnen. Durch den Einsatz von digitalen Medien gibt es die Chance eines Austausches über die eigene Institution hinaus und den Aufbau eines Teaching-Netzwerkes. Wichtig ist, dass man flexibel bleibt und auch mal etwas ausprobiert. Online mit Kolleginnen und Kollegen zu diskutieren oder in Kleingruppen zu teachen ist zwar gewöhnungsbedürftig, kann aber sehr bereichernd und stimulierend sein. Im Fokus sollte dabei stets die Interaktivität sein, weil diese das Lernen fördert – nicht still Zuhören, sondern sich aktiv beteiligen.

 

Der von euch herausgegebene, kürzlich im hogrefe-Verlag erschienene Leitfaden «Die oberärztliche Tätigkeit – eine neue Herausforderung» hat alle relevanten Herausforderungen für die künftige internistische oberärztliche Tätigkeit praxisrelevant und kompakt zusammengefasst, um den Einstieg in diese neue Funktion zu erleichtern. Welche «neuen» Herausforderungen erleben die Oberärztinnen und Oberärzte heute?
Der wohl grösste Schritt beim Übergang von der assistenzärztlichen zur oberärztlichen Tätigkeit stellt einerseits die Übernahme der Leitung eines ganzen Teams dar, das der jeweiligen Person neu unterstellt ist und anderseits, daneben auch noch zuständig zu sein für eine sichere und hochstehende Betreuung der Patientinnen und Patienten. Für beides ist man verantwortlich. Das heisst, die Oberärztin oder der Oberarzt muss das medizinische UND organisatorische Management unmittelbar an der Front meistern. Bei der Betreuung der oft sehr komplexen und multimorbiden Patientinnen und Patienten ist es eine grosse Herausforderung den Überblick zu behalten. Dafür benötigen die Oberärztinnen und Oberärzt eine breite klinische Erfahrung, aber auch Leadership, Kommunikationskills, Verständnis für die Spitalorganisation und Kenntnisse von finanzierungsrelevanten und rechtlichen Faktoren. Man ist gefordert, sich ein Netzwerk im Spital aufzubauen, um im interdisziplinären und –professionellen Team Unterstützung für all diese Aufgaben zu finden. Dieses Multitasking ist für alle neuen OberärztInnen besonders am Anfang eine grosse Herausforderung und für die meisten Oberärztinnen oder Oberärzte eine ganz neue Art zu Arbeiten.


Ein wichtiges Anliegen der SGAIM ist die Nachwuchsförderung. Wie können bereits etablierte Fachpersonen zur Nachwuchsförderung beitragen?
Es ist enorm wichtig, dass sich Kaderärztinnen und Kaderärzte als «Leader» für die Allgemeine Innere Medizin einsetzen und sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sind. Der Nachwuchs soll ihre Freude und Leidenschaft für die AIM spüren können, d.h. sie müssen am Patientenbett Allgemeine Innere Medizin vorleben und weitergeben. Eine wertschätzende Grundhaltung gegenüber den jungen interessierten ÄrztInnen und Studierenden, sowie die Anerkennung ihres Engagements im klinischen Alltag finden wir sehr wichtig, um den Nachwuchs für die so facettenreiche AIM zu begeistern und damit zu sichern. Dazu gehört auch sich aktiv für Karriereberatungen und als Mentor zu engagieren.