1. Herzliche Gratulation zum diesjährigen SGAIM Teaching Award. Was bedeutet Ihnen dieser Preis?
Teaching ist für mich eine durch und durch sinnhafte Beschäftigung. Dies besonders in der Medizin, wo weitergegebenes Wissen oder Fertigkeiten tausendfach erneut angewendet und tausenden Menschen zugutekommt. Teaching machen zu dürfen ist für mich ohnehin schon ein Privileg. Zusätzlich noch diesen Award zu erhalten, freut mich natürlich sehr. Hier ist es aber wichtig zu betonen, dass meine Lehre keine Einzelleistung ist. Die Anerkennung gebührt einem grösseren Team aus unterschiedlichsten Berufsgruppen: Ärztliche Kolleginnen und Kollegen, in der Lehre engagierte Studierende, Schauspieler*Innen, und natürlich auch administrative und technische Mitarbeiter*Innen haben mir immer wieder dabei geholfen, meine Lehrprojekte zu realisieren.
2. Was zeichnet eine gute Lehrperson/«Teacher» aus?
Ich glaube eine gute Lehrperson benötigt viele unterschiedliche Kompetenzen und Ressourcen. Wie schon gesagt, erreicht man auch in der Lehre mehr, wenn man im Team arbeitet. Deshalb sind für grössere integrierte Lehrprojekte Führungsqualitäten wichtig. Gegenüber den Lernenden nimmt eine gute Lehrperson die Verantwortung wahr, stufengerechte und sinnhafte Lernziele aufzustellen. Stufengerechtigkeit zu erzielen kann eine grössere Arbeit sein, denn die Lehrperson muss herausfinden, auf welche bereits erworbenen Qualifikationen sie aufbauen soll. Hier könnten die Institutionen helfen, welche die Lehre koordinieren. Bei der Sinnhaftigkeit ist es wichtig, dass die Lehrperson sich vergewissert, dass die gesetzten Lernziele Qualifikationen sind, welche im ärztlichen Alltag tatsächlich gebraucht werden. Letztlich sollten Lehrpersonen noch den Wandel begreifen, welcher sich im letzten Jahrzehnt ereignet hat: Die heutzutage online verfügbaren Lernressourcen stellen das verfügbare Wissen strukturierter und vernetzter dar, als dies die beste Vorlesung könnte. Lehrpersonen können durch einfachen Wissenstransfer kaum mehr einen Mehrwert generieren. Bei der Translation von Wissen zu Handlungen können Lehrpersonen aber noch punkten. Dies kann durch Unterricht in kognitiven Methoden erzielt werden (Clinical Reasoning), oder durch Beibringen von manuellen oder kommunikativen Fähigkeiten. Und last but not least: Wie in vielen Lebenslagen ist Humor auch in der Lehre ein äusserst hilfreiches Instrument, um die Aufmerksamkeit zu binden und das Lernen zu erleichtern.
3. Selbstmanagement für Spitalanfänger, therapeutische Konflikte bei Multimorbidität oder Clinical Reasoning: Sie haben mit innovativen Lehrformaten die Studierenden für die AIM begeistert. Wie kann der Nachwuchs für die Hausarztmedizin oder die stationäre AIM gewonnen werden?
Medizin bedeutet in unsicheren Gewässern mit unsicheren Informationen navigieren zu müssen. Anfänger:innen fällt es schwer, Informationen zu interpretieren und Konsequenzen ihrer Handlungen abzuschätzen. Das Falsche tun möchte man auf keinen Fall. Nichtstun kann aber auch schwere Konsequenzen haben, und auch genau das Richtige tun kann unerwartete Komplikationen auslösen. Dieses Spannungsfeld, diese Verantwortung, diese Unsicherheit kann schwer erträglich sein. Dazu werden Unerfahrene noch in Ökosysteme geworfen, in welchen sie sich nicht auskennen und es Monate braucht bis sie sich zurechtfinden. Dies alles vor dem Hintergrund der ärztlichen Kunst, welche die höchsten kommunikativen Anforderungen stellt, die Notwendigkeit ein ständig wachsendes Wissen umsetzen zu müssen und mit nicht unbedingt attraktiven Arbeitsbedingungen einhergeht. Es sollte uns klar sein, dass wir mit diesem Stellenprofil die besten und motiviertesten zukünftigen Berufskolleg:innen ansprechen. Und genau als solche sollten wir sie jetzt schon respektieren, wertschätzen und behandeln.
4. Wie können erfahrene Ärztinnen und Ärzte den Nachwuchs gezielt fördern?
Wir sollten Anfängerinnen und Anfängern Unterstützung zusichern und diese auch gewähren, wenn sie sie brauchen. Wir sollten ihnen gezielt die kognitiven, manuellen und kommunikativen Fähigkeiten beibringen, welche sie im Alltag tatsächlich brauchen und sie auch in nicht-medizinischen Anforderungen des Alltags coachen, beispielsweise beim Selbstmanagement im Spital. Die Hausarztmedizin und die stationäre AIM kann enorme Freude machen, aber erst wenn man sich einigermassen mit den intrinsischen und extrinsischen Herausforderungen zurechtgefunden hat. Erfahrenere Ärztinnen und Ärzte sollten dem Nachwuchs zeigen, dass dieses Plateau existiert und erreichbar ist und auch dabei helfen möglichst rasch hinaufzusteigen. Letztlich müssen wir auch auf die Bedürfnisse des Nachwuchses eingehen und vielleicht können wir sogar selbst davon lernen. Flexiblere Arbeitszeiten und Teilzeitarbeit lassen sich durch organisatorische Massnahmen implementieren und könnten sogar arrivierteren Berufskolleginnen und Kollegen manchmal guttun. Die oft und teilweise auch zurecht geschmähte administrative Belastung ist für uns jeden Tag eine Quelle von unnötigem Stress und für Berufsanfänger gelinde gesagt erstaunlich. Oft besteht Administration aus zahllosen Mikrotasks, welche sich durch IT-Lösungen deutlich verringern lassen würden. Aus der Sicht des Nachwuchses sind existierende IT-Lösungen oft nicht auf dem neusten Stand (und manchmal auch nicht auf dem zweitneusten). Hier besteht Nachholbedarf und ein grosses Potential, um unsere Arbeit attraktiver zu machen, auch für uns selbst.