Was zeichnet Ihrer Meinung nach eine kompetente Lehrperson aus?
Im Zeitalter der Kompetenzbasierten Medizinischen Lehre (CBME) ist es zentral, dass die Lehrperson Lernziele kommuniziert, passende Lehrmethoden anwendet und entsprechende Lernkontrollen durchführt. Dieses Constructive Alignment ist für mich die Dreifaltigkeit der Lehre und Grundvoraussetzung dafür, dass sowohl ein kleinteiliges Lehrdeputat, ein Modul oder aber ein Curriculum als grosses Ganzes kohärent, studierbar sowie nachhaltig wirksam ist und gute Bildungsprodukte entstehen. Da in der medizinischen Aus- und Weiterbildung viele Handlungskompetenzen gefordert werden, beherrscht die kompetente Lehrperson fallbasierte, interaktive und kollaborative Lehrmethoden und setzt, wo nötig, auch ressourcenaufwendige aber äusserst wirkungsvolle Simulationen ein. Sie ist Lerner-zentriert, geduldig, reflektiert ihre Lehrleistung und ist neugierig, was Lehrinnovationen angeht. Ihr Unterricht ist begeisternd und bringt Lernende in den Lernfluss.
Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Ist KI ebenfalls im Unterricht nicht mehr wegzudenken?
Die Digitalisierung in der Lehre schreitet weiter voran und mit ihr auch der Einsatz neuer Technologien wie KI. Es ist ein unaufhaltsamer, rasanter Fortschritt; Herausforderung und Chance zugleich, auf jeden Fall viel Raum für Innovation. Meine Vision von einem Mastery-Learning-Ansatz in der Ausbildung wird mit zunehmender Digitalisierung und KI auf jeden Fall realistischer. Es ist nun an uns, einen verantwortungsvollen Einsatz von KI systematisch und gewinnbringend in Lehre und Beruf zu implementieren. Kompetente Lehrpersonen und Medical Educators bleiben aber nach wie vor der Schlüssel für Qualität in der Aus- und Weiterbildung.
In welcher Form integrieren Sie KI in Ihren Unterricht?
Für die Entwicklung von Lehrinhalten nutze ich Large language models. Sie helfen mir, Artikel zusammenzufassen und graphisch zu präsentieren. Eine HSG-App hilft mir bei der Entwicklung von MC-Fragen für den teambasierten Unterricht und für Gamification-Ansätze. In der Weiterbildung setze ich anstelle vom Moleskine im Kitteltaschenformat auf einen Onlinedienst, der mittlerweile auch KI integriert. Dieser hilft mir beim Datenmanagement meiner Guidelines, Algorithmen, Fachartikel, Formeln, Tipps und Tricks. Mit meinen Lernenden thematisiere ich regelmässig die Herausforderung des Datenmanagements in der Allgemeinen Inneren Medizin und ermutige sie, verschiedene Tools auszuprobieren, um den Prozess vom lebenslangen Lernen zu augmentieren. Im gegenseitigen Austausch lerne auch ich neue Tools kennen. Der eigentliche Teaching Moment findet bei mir allerdings nach wie vor analog statt - mit Fokus auf Lernende und ihrem Erwerb von Handlungskompetenz – wenn immer möglich am Patientenbett.
Welches ist Ihr Rezept, junge Menschen für den medizinischen Beruf zu begeistern?
Studierende und Assistenzärzt:innen bringen eigentlich von sich aus ausreichend intrinsische Motivation mit. Oft kommt mir eine beratende Funktion zu, wenn es bei jungen Kolleg:innen um die Frage nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Seit zehn Jahren lebe ich den Spagat zwischen Klinik, Medizindidaktik und Familie. Ich engagiere mich als Tutorin und in Mentoringprogrammen und unterstütze Interessierte in ihrer individuellen Karriereplanung. Viele schöpfen Hoffnung, wenn sie sehen, dass auch im Teilzeitpensum relevanter Output möglich ist, berufliche Entwicklung nicht stehenbleiben muss und gleichzeitig Raum für Familie bleibt. Ich hoffe, dass auch dieser Teaching Award dazu beiträgt, ein positives Signal in diese Richtung zu senden.
Wie können erfahrene Ärztinnen und Ärzte Ihrer Ansicht nach ihr Wissen weitergeben?
Unsere Aus- und Weiterbildung funktioniert nur dank der tagtäglichen Lehrtätigkeit von erfahrenen Ärzt:innen. Die Kunst ist, zu erkennen, wo Lernende in ihrem Lernprozess stehen. Wo ihre «Zone der nächsten Entwicklung» ist, um sie dort abzuholen und einen Schritt weiterzubringen. Anleiten, supervidieren, Feedback geben: Das ist ein altbewährtes Rezept. Lernende wollen und brauchen Feedback, konstruktive Kritik ebenso wie Lob. Bezüglich Kompetenzen in Kommunikation, Management und Leadership oder Professionalismus spielt die Vorbildfunktion und die Weitergabe von Erfahrungswerten durch Role Modeling eine zentrale Rolle.
Und natürlich mit Enthusiasmus. Enthusiasmus ist einer der entscheidenden Motoren im Lernprozess. Nichts motiviert Lernende stärker als nahbare Aus- und Weiterbildner:innen, die ihr Fachgebiet mit Begeisterung vertreten, evidenzbasierte Medizin leben und sich mit Leidenschaft für eine hochwertige Patientenversorgung einsetzen. Während meiner Weiterbildungszeit hatte ich das grosse Glück, von solchen inspirierenden Vorbildern lernen zu dürfen – eine prägende Erfahrung, für die ich bis heute dankbar bin.
Zur Person
KD Dr. med. et MME Simone Krähenmann ist Leitende Ärztin in der Klinik für Allgemeine Innere Medizin/Hausarztmedizin und Notfallmedizin am Kantonsspital St.Gallen (HOCH) sowie Leiterin Programmqualität & Faculty Development in der School of Medicine an der Universität St.Gallen (HSG). Sie engagiert sich seit vielen Jahren im Bereich Medical Education und hat massgeblich am Aufbau des Curriculums für den Joint Medical Master in St.Gallen mitgearbeitet. Sie ist verheiratet und Mutter von drei Kindern.