03 - Interview mit einem Kanton
Die SGAIM präsentiert im Rahmen einer Sonderreihe Stakeholder im Gesundheitswesen und stellt wichtige Player der stationären Leistungsabrechnung rund um SwissDRG vor. Zum Thema Rechnungsprüfung wurde mit Françoise Schwarz gesprochen. Sie ist medizinische Kodiererin mit eidgenössischem Fachausweis und arbeitet seit 2015 als Kodierrevisorin in der Gesundheitsdirektion Zürich. Seit 2016 ist sie Vertreterin der Gesundheitsdirektorenkonferenz in nationalen Arbeitsgruppen wie der Arbeitsgruppe Kodierrevision und der technischen Expertengruppe des Bundesamtes für Statistik. Das Amt für Gesundheit dient dem Schutz und der Förderung der Gesundheit der Zürcher Bevölkerung. Es stellt eine leistungsfähige und qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung sicher, kauft die dafür notwendigen Leistungen bei den Gesundheitsinstitutionen ein und kontrolliert, ob diese einwandfrei erbracht werden. Darüber hinaus setzt es sich aktiv zur Vorbeugung von Krankheiten ein. Mit seinen rund 80 Mitarbeitenden aus verschiedenen Berufsrichtungen, verteilt über sechs Abteilungen und weitere Fach- und Stabstellen, verfügt das Amt für Gesundheit über umfassende Fachkompetenz unter anderem bei den Themen Tarife & Rechnungskontrolle (Genehmigung und Festsetzung von Tarifen, Finanzierung von Leistungen nach dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung) oder Versorgungsplanung (Planung und Steuerung einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung, Sicherstellung der Behandlungsqualität).
Wie läuft die DRG-Kontrolle auf kantonaler Ebene ab? Welche Prüfmechanismen gibt es?
Bei Einführung von SwissDRG haben sich die Parteien darauf geeinigt, dass in Bezug auf die Rechnungsprüfung keine Parallelstrukturen (Versicherer, Kantone) aufgezogen werden. Dies bedeutet, dass die Prüfung der Wirtschaftlichkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit (WZW)[1] gemäss Krankenversicherungsgesetz im Regelfall dem Versicherer obliegt. Von den Versicherern beanstandete Rechnungen müssen auch gegenüber dem Kanton korrigiert werden und umgekehrt. Die Prüfmechanismen des Kantons orientieren sich an der formell korrekten Rechnungsstellung. Folgende Fragestellungen sind dabei zentral:
- Handelt es sich um einen Fall nach KVG?
- Handelt es sich um eine stationäre Behandlung?
- Hat der Patient seinen Wohnsitz im Kanton Zürich?
- Handelt es sich um eine Verlegung, wurde der korrekte Tarif angewendet?
- Handelt es sich fälschlicherweise um ein Duplikat?
- Wurde der korrekte Tarif angewendet?
- Überschneidet sich die Rechnung mit einem anderen Aufenthalt?
In Einzelfällen bzw. bei Auffälligkeiten kann es vorkommen, dass die Prüfung des Kantons in den WZW-Bereich (z.B. Kodierung) fällt.
Welche Aufgaben hat die kantonale Rechnungskontrolle im stationären Bereich?
Ziel ist sicherzustellen, dass die Rechnungsstellung des Leistungserbringers korrekt ist und dass der Kanton die Rechnung im Einklang mit den kantonalen Gesetzen vergüten kann.
Nach welchen Kriterien prüfen Sie Spitalrechnungen? Gibt es kantonale Besonderheiten?
Bei der Prüfung nutzen wir eine zusammen mit anderen Kantonen entwickelte Fachapplikation. Wir erhalten die Rechnungen der Spitäler elektronisch. Die Fachapplikation führt eine automatisierte Prüfung der Rechnungen durch. Mehr als 90 % der Rechnungen passieren das System „fehlerfrei“ und werden automatisch in die entsprechende Software (SAP) zur Vergütung exportiert. Rechnungen, die die Prüfregeln nicht oder nur teilweise bestehen, werden entweder mit Begründung automatisiert abgewiesen oder mit Beanstandungshinweis an die Mitarbeitenden zur Bearbeitung ausgelenkt. Diese Rechnungen werden manuell bearbeitet und freigegeben oder abgewiesen.
Wie häufig kommt es vor, dass Spitalrechnungen aufgrund falscher DRG-Zuordnung korrigiert werden müssen?
Der Kanton Zürich hat für die Datenjahre 2012 bis 2023 flächendeckende Kodierrevisionen in den Vertragsspitälern durchgeführt. (Die durchschnittliche DRG-Abweichung lag in den letzten Jahren im Kanton Zürich bei 3 – 3.5 Prozent). Es dürfen keine Rechnungskorrekturen aufgrund der Ergebnisse der Kodierrevision vorgenommen werden, es sei denn es liegt eine statistische Signifikanz vor. Dies bedeutet, dass die Änderung der Kostengewichte der Stichprobe mehr als 2 Prozent beträgt. Hierbei ist zu beachten, dass nicht bei jeder Abweichung von grösser 2% automatische von einer systematischen Fehlkodierung ausgegangen werden kann. In seltenen Fällen führt ein einzelner Fall dazu, nach der Korrektur eine statistische Signifikanz auszulösen z.B. durch Nichtkodieren eines einzelnen Prozedurenkodes.
Welche typischen Fehler oder Unstimmigkeiten finden Sie bei Spitalrechnungen am häufigsten?
Die Kantone stellen v.a. sehr viele Fehler bei der Angabe des Wohnsitzes, Tarifs fest. Auch Duplikate – doppelte Rechnungen – kommen häufig vor.
Wie stellen Sie sicher, dass Rechnungen korrekt und fair abgerechnet werden?
Wir setzen auf Einzelfallprüfung und bei Auffälligkeiten auf die Überprüfung einer grösseren Stichprobe im Rahmen einer Sonderrevision.
Welche Rolle spielt die medizinische Dokumentation in Ihrer Prüfung?
Die medizinische Dokumentation spielt eine zentrale Rolle, nicht nur für die Kodierung, sondern auch im Rahmen der Kodierrevision bzw. Sonderprüfungen. Dabei wird die komplette Dokumentation analysiert und zur Überprüfung verwendet.
Die behandelnde Ärztin bzw. der behandelnde Arzt ist verantwortlich für die Diagnosestellung und die vollständige Dokumentation aller Diagnosen und/oder Prozeduren während des gesamten Spitalaufenthalts. Resultate von durchgeführten Eingriffen gehören ebenfalls zur Dokumentation, auch wenn sie erst nach dem Austritt der Patientin, bzw. des Patienten eintreffen. Diese Angaben bilden die Grundlage für die Kodiererinnen und Kodierer zur regelkonformen Abbildung des Falles. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist auf eine hohe Qualität von Austrittsbericht und Interventionsprotokollen zu achten.
Wie oft kommt es vor, dass Rechnungen nachträglich angepasst oder abgelehnt werden?
Das kommt häufig vor. Viele Rechnungen werden von den Spitälern storniert und neu fakturiert, teilweise, bevor wir sie fertig bearbeitet haben. Manchmal ist es für Spitäler wichtig, zeitnah zu fakturieren, bevor sämtliche Angaben intern vorliegen. Das führt dann zu häufigen Korrekturen seitens der Spitäler. Im Rahmen der Rechnungskontrolle entdecken wir zahlreiche Rechnungen, die wir beanstanden, sodass sie entweder korrigiert oder nicht mehr in Rechnung gestellt werden.
Der Kanton storniert Rechnungen für Leistungen, die ausserhalb des Leistungsauftrags erbracht wurden; die entsprechenden Beträge werden von den Spitälern zurückerstattet.
Wie beeinflusst die Rechnungskontrolle die Gesundheitskosten im Kanton?
Die Rechnungskontrolle stellt sicher, dass nur rechtmässige Kosten für medizinische Behandlungen zulasten der Steuer bzw. Prämienzahler anfallen. Ohne eine adäquate Rechnungskontrolle, würden ungerechtfertigte Kosten entstehen.
Werden auffällige Rechnungen gezielt überprüft oder gibt es eine systematische Stichprobenkontrolle?
Auffällige Rechnungen werden von der Rechnungskontrolle an die Kodierrevision gemeldet und von der Kodierrevision überprüft.
Welche Rolle spielt die DRG bei der Spitalplanung im Kanton?
Bei der Spitalplanung werden die Anforderungen an die Infrastruktur sowie die fachlichen Kompetenzen berücksichtigt. Viele Experten versuchen die DRG und die Spitalplanungsgruppe (SPLG)[2] miteinander zu vergleichen, dies ist aber nicht möglich, da beide Systeme einen ganz anderen Ansatz bzw. ein anderes Ziel verfolgen. Aus diesem Grund spielt die erfasste DRG für die Spitalplanung keine Rolle. Die DRG-Daten erfassen den Aufwand des Spitalaufenthaltes und sind ein wirtschaftliches Instrument.
Gibt es Anzeichen für Upcoding (bewusste Hochstufung in teurere DRGs), und wie gehen Sie dagegen vor?
Den Spitälern ist bewusst, dass bei systematischen Fehlkodierungen umgehend weitere Massnahmen eingeleitet werden. Besteht der Verdacht auf Fehlkodierungen werden Sonder- und Einzelfallprüfungen durchgeführt. Dieser Mechanismus beschränkt den Anreiz für systematische Falschkodierung.
Was möchten Sie den Allgemein-Internisten mit auf den Weg geben?
Die Aufgabenteilung zwischen den Kantonen und den Versicherern wurde im KVG festgelegt. Primär sind die Versicherer für die Kontrolle der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW) zuständig. Die Kantone führen automatisierte Kontrollen der Korrektheit der Rechnung und zur Einhaltung des Leistungsauftrages durch. Die Kantone dürfen im Rahmen ihrer Aufsichtsrolle bei Bedarf auch die Wirtschaftlichkeit von sämtlichen Behandlungen kontrollieren.
[1] https://www.sgaim.ch/de/themen/swissdrg-blog/07-wzw
[2] Die SPLG sind ein Klassifikations- und Planungsinstrument der Gesundheitsdirektion Kanton Zürich zur Spitalversorgung. Die Grundidee: medizinische Leistungen im stationären Bereich werden anhand von Diagnosen (ICD) und Behandlungen/Operationen (CHOP) in Leistungsgruppen zusammengefasst. Jede SPLG ist durch einen eindeutigen Satz von Diagnosen- und oder Behandlungs-Codes definiert und über den SPLG Grouper automatisch in einer Fallgruppe zugeordnet wird.
